Basler Pfarrblatt (15.02.2003)
Editorial im Basler Pfarrblatt
Zusammenfassung:
Jerusalem, in der Nacht des Sedermahls vor rund zweitausend Jahren. «Judas Iskarioth, einer der Zwölf, ging zu den Hohepriestern. Er wollte jesus an sie ausliefern», steht in markus 14,10. Alles klar: Der schrecklich böse Judas verrät den unheimlich guten Jesus. Ende der Diskussion.
Bagdad, zwischen 1990 und 2003: «Amerika, der Feind des irakischen Volkes und der ganzen arabischen Welt. Der grosse Satan, die neuen Kreuzritter.» Alles klar. Dann Washington, Anfang 2002: «Irak gehört zur Achse des Bösen.» Und ein paar Monate später: «Saddam Hussein ist ein klare und unmittelbare Bedrohung für die USA, die internationale Sicherheit und das eigene Volk.» Alles klar. Einen Böseren als Saddam Hussein gibt es nicht. Ein jahr vorher war allerdings noch ein gewisser Osama bin Laden der grosse Böse, aber der bleibt unauffindbar. Also gilt es, flexibel zu sein. Schliesslich Europa, Anfang 2003, oder auch Bern Bundesplatz, 23. März 2003: «Bush ist ein Imperialist und Terrorist, ermordet unschuldige Zivilisten und destabilisiert die ganze arabische Welt – und ohnehin gehts ihm nur ums Öl.» Alles klar. Bush ist an allem schuld, was im Moment schief läuft. Ende der Diskussion.
Zum Glück gibts all diese grossen Bösen. Wie wären Welt und sogar Gott doch kompliziert ohne die praktischen Feindbilder und Bösewichte. Wie verwirrend wäre der Alltag, wie wackelig das eigene perfekte Weltbild und die bequem klare Position, wie gross plötzlich die Unsicherheit nach dem Wegfall der lieb gewonnenen Massstäbe.
«Judas Iskarioth, einer der Zwölf, ging zu den Hohepriestern. Er wollte Jesus an sie ausliefern.» Allesklar: Der schrecklich böse Judas verrät den ... –? Wirklich alles klar? Anfang der Diskussion.